Rückkehr in die Normalität?

Funktioniert die Corona-Krise als Katalysator um der Naturzerstörung unseres Wirtschaftssystems zu entkommen? Der Philosoph Richard David Precht sieht durch Corona einen Weg der Veränderung. Die aktuelle Politik zeigt, wie viel man den Menschen und vor allem der Wirtschaft zumuten kann, wenn die Notwendigkeit erkannt ist. Will man die Zerstörung der Welt, wie wir sie kennen, aufhalten, wird sich allerdings noch sehr viel mehr Umdenken und Einsicht durchsetzen müssen.

In den Kommentaren ist derzeit sehr viel zu lesen und zu hören vom Umdenken, vom notwendigen Neustart des Systems, dem erkannten Wertewandel und ähnlichem. Allerdings nur in sehr abstrakten Zusammenhängen. Sobald es konkreter wird, sprechen Ökonomen und Politiker fast ausschließlich davon, zurück »zur Normalität« zu wollen. Aus ökologischer Sicht ist der Shutdown eine Steilvorlage für Klima- und Umweltpolitiker. Dennoch fragt niemand, wie man Automobilkonzerne, Fluggesellschaften oder Touristikkonzerne bei dauerhaft rückläufigen Umsatzzahlen unterstützen kann. Stattdessen werden Milliarden Subventionen diskutiert, um möglichst bald wieder die alten Produktions- und Umsatzzahlen zu erreichen.

Selbst in Grünen Kreisen ist es weiterhin tabu, über eine Abkehr vom Wirtschaftswachstum zu diskutieren. Der Philosoph Richard David Precht urteilt im Interview der Frankfurter Rundschau sogar, die Grünen wollen »heute ihre Verantwortung entsorgen, jetzt ganz konkret für einen großen Umbau zu mehr Nachhaltigkeit einzustehen«.

Es gibt viele Hinweise darauf, dass im Bewusstsein der Bevölkerung durchaus eine Abkehr von der »Wachstum, Wachstum über alles«-Philosophie denkbar ist. Precht: »Psychologisch, nicht ökonomisch, ist zumindest ein Gefühl dafür entstanden, dass unser Leben, wie wir es vor der Krise geführt haben, nicht alternativlos ist. Welche wirtschaftspolitischen Maßnahmen man nun treffen muss, ist noch eine ganz andere Frage. Ich glaube nur, dass die Bereitschaft der Menschen gewachsen ist, den Weg der Veränderung mitzugehen.«

Immer mehr Menschen wird klar, dass wir weit mehr produzieren und konsumieren, als sinnvoll und nötig ist. Immer mehr und immer billiger essen, reisen oder Klamotten kaufen als Maßstab für Wohlstand und Glück wird immer öfters hinterfragt. Und auch der Umstand, dass dem Wohlstand vieler Bürger auf der einen Seite eine zunehmende Zahl von Menschen gegenübersteht, die trotz ständiger Mehrarbeit immer weniger Sicherheit und Auskommen haben, ist offensichtlich. Die Triebfeder für das »Immer-Mehr« ist nicht der Mangel, sondern das Verteilungsproblem.

Reichtum ist im Überfluss vorhanden, er ist nur nach wie vor extrem ungleich verteilt. Dazu Precht: »Grundsätzlich gilt: Wenn es den Gesellschaften im Westen an einem nicht mangelt, dann ist es das Geld. Unsere Gesellschaften sind reicher, als sie es jemals waren. Natürlich kann man das Gesundheitssystem besser ausstatten. Man müsste sich nur trauen, das Geld aus Quellen zu holen, die man zurzeit unberührt lässt.«

Negativverzinsung des Kapitals

Der entscheidende Schritt, der dringend notwendige Paradigmenwechsel, wäre die Negativverzinsung der viele Billionen Euro und Dollar großen Geldvermögen. Eine Negativverzinsung würde alle arbeitenden und verschuldeten Menschen unmittelbar entlasten. Negativ verzinste Geldvermögen senken die Arbeitslosigkeit und schaffen den nötigen Spielraum, um Überkapazitäten im Produktionsbereich abzubauen. Der frühere Präsident der Federal Reserve Bank (Fed) von Minneapolis, USA, Narayana Kocherlakota ist einer der wenigen Ökonomen, die immer wieder auf den Zusammenhang von Negativzinsen und Beschäftigung aufmerksam machen. Im Nachrichtenportal Bloomberg schreibt er aktuell: »Sicherlich würden negative Zinssätze dazu beitragen, die Arbeitslosenquote von ihrem wahrscheinlich höchsten Stand seit dem Zweiten Weltkrieg (USA) zu senken.« Eine solche Entscheidung ginge zulasten der Gewinne der Banken und der Dividenden ihrer Aktionäre, schlussfolgert Kocherlakota. Es ist leicht verständlich, dass das herrschende Machtgefüge die notwendige Entwicklung noch immer aufhalten kann. Völlig unverständlich ist es jedoch, warum die Chancen einer Negativzins-Politik von Linken und Grünen Politikern in Deutschland nicht erkannt werden.

In den Chefetagen der Thinktanks wie Hans-Böckler-Stiftung und Heinrich-Böll-Stiftung geben offenbar weiterhin die Lobbyisten der Zins- und Wachstumsideologieen den Ton an. Was wir aber dringend brauchen ist, um mit Precht zu sprechen, zu klären, was ökonomisch notwendig ist, damit unser Leben nicht alternativlos in die nächste Krise steuert.

Lesen Sie hierzu auch: »Effektivere Negativzinsen werden dringend benötigt«, »Deutsche Bank-Stratege für effektive Negativzinsen, auch auf Bargeld« und »Stabile Währung durch Haltegebühr auf Geld«.


Klaus Willemsen, 28.04.2020

Verwendete Quellen:

www.fr.de/kultur/gesellschaft/corona-richard-david-precht-philosoph-autor-wer-bin-ich-wenn-ja-wie-viele-13683961.html

www.bloomberg.com/opinion/articles/2020-04-24/coronavirus-economy-the-fed-should-go-negative-next-week

www.inwo.de/medienkommentare/effektivere-negativzinsen-werden-dringend-benoetigt/

www.inwo.de/medienkommentare/deutsche-bank-stratege-fuer-effektive-negativzinsen-auch-auf-bargeld/

www.geldreform.eu/stabile-waehrung-durch-haltegebuehr-auf-geld/