Brauchen wir einen digitalen Euro?

Mit Hilfe der Währung wurden und werden Menschen seit Jahrhunderten ausgeplündert. Das ist nichts Neues. Davon abzuleiten, dass eine digitale Euro-Währung eine weitere Eskalationsstufe darstellt, halte ich für falsch.

Die EU-Kommission arbeitet an einem Vorschlag zur Einführung eines digitalen Euros. Dies wäre die Erweiterung des Zentralbankgeldes um ein Zahlungsmittel, das im digitalen Zeitalter angekommen ist. Aber geht es darum, die Autonomie der europäischen Bürger:innen zu erweitern oder steht im Vordergrund, die Abschaffung des Bargelds und damit die totale Kontrolle über alle Individuen zu ermöglichen?

Der Status Quo
Mittlerweile kann ich nicht mal mehr den Eintritt bei der städtischen Eislaufbahn entrichten, ohne mich an einen amerikanischen Konzern auszuliefern. Schon bei einfachsten Zahlungen bin ich auf Geldinstitut angewiesen. Ohne Kreditkarte - und damit die Übermittlung aller wichtigen Kaufinformationen an einen amerikanischen Konzern - kann ich praktisch keinen Urlaub mehr organisieren. Meine Kaufentscheidungen und die damit einhergehenden Daten sind Handelsware und Spekulationsgegenstand von multinationalen Konzernen und Monopolisten. Diese Daten sind Rohstoff für Profite, ohne dass ich mich entziehen kann.

Es ist nicht hinnehmbar, dass europäische Bürger:innen Geldinstitute brauchen, um einfache Überweisung zu vollziehen. Ein digitaler Euro, basierend auf einer staatlichen Infrastruktur, ist das Mindeste, was ein funktionierender Staat als Infrastruktur zur Verfügung stellen muss. Und dieser Staat muss auch garantieren, dass elektronische Zahlungsvorgänge anonym und ohne zentrale Datenspeicherung ablaufen können. Der wuchernden Datensammelpraxis und der Privatisierung des allgemeinen Zahlungsverkehrs sollte sich die EU-Bürokratie entgegenstellen, wenn sie glaubwürdig bleiben will. Es geht dabei um das Vertrauen der Bevölkerung in staatliche Strukturen. Es geht um Nichts weniger als die Basis unseres Zusammenlebens, die seit Jahren erodiert. 

eEuro-Guthaben in Bankguthaben umgewandeln
Der von mir sehr geschätzte Norbert Hering beispielsweise schießt mit seiner Kritik an den EU-Plänen über das Ziel hinaus. Er zitiert aus einem Vorschlag der EU-Kommission wie folgt:

„Die Europäische Zentralbank sollte Instrumente entwickeln, um die Verwendung des digitalen Euro als Wertaufbewahrungsmittel zu begrenzen, einschließlich Haltegrenzen. (…) Vorbehaltlich der in Artikel 16 genannten Kriterien sollte die Entscheidung darüber, ob und wann diese Instrumente eingesetzt werden, sowie deren Kalibrierung ausschließlich bei der Europäischen Zentralbank liegen.“

Dazu schreibt er: »Damit durch solche Obergrenzen die Auslösung und Umsetzung eines Bezahlvorgangs nicht unterbunden werden kann, soll als Normalfall jedes eEuro-Konto mit einem normalen Geschäftsbankenkonto verbunden werden, das als Überlaufkonto fungiert. Dann können eEuro-Guthaben, die die zulässige Höhe übersteigen, automatisch dorthin transferiert und dabei in normale Bankguthaben umgewandelt werden.«

Dies Verknüpfung ist sinnvoller Weise dafür gedacht, eine Trennung zwischen Zahlungsmittel und Wertaufbewahrung zu vollziehen. Die Notenbank »sollte Instrumente entwickeln«, um den Geldumlauf im Fluss zu halten. Genau in diesem Punkt wurde das gravierendste Defizit der gegenwärtigen Geldpolitik erkannt. Die Wertaufbewahrung soll auch zukünftig bei privaten Geldinstituten stattfinden. Die Idee dahinter heißt, ein EZB-Konto dient ausschließlich dem Zahlungsverkehr. Überschüsse werden transferiert und (hoffentlich) umgewandelt in Guthaben mit Ausleihfristen. Wenn wir elektronischen Zahlungsverkehr zukünftig auch ohne private Geldinstitute abwickeln können, sollten Geschäftsbanken wieder in erster Linie zu SPARkassen und damit zu Kreditvermittlern werden.

Ideologie oder Währungsstabilität
Die EZB trennt zwischen dem Cash, für den sie ein Konto anbietet, und der Anlage bei der Bank, die die Ersparnisse verwalten soll. Das ist zunächst ein richtiger Gedanken. Für das cash-Konto bei der EZB wäre eine am Saldo orientierte Gebühr zweckmäßiger und eleganter. Aber dies vorzuschlagen käme derzeit einem Schuss ins eigene Knie gleich, da die öffentliche Diskussion maßgeblich ideologisch geführt wird und eine sachliche Auseinandersetzung praktisch nicht stattfindet.

Wachsamkeit ist angebracht. Sicher gibt es gute Gründe an der Aufrichtigkeit der staatlichen Geldpolitik Zweifel anzumelden. Die Kritik muss aber sachlich begründet sein und sollte nicht ideologisch überzogen werden. Die Sorge um die Abschaffung des Bargeldes darf nicht als Begründung dienen, den europäischen Bürger:innen ein elektronisches Zahlungsmittel vorzuenthalten.

Lesen Sie hierzu auch: »Gehen Sie noch einen Schritt weiter, Herr Fratzscher!«, »Endspiel des Kapitalismus« und »EZB verringert Anleihenkäufe schneller als geplant«.


Klaus Willemsen, 10.8.2023

 

Verwendete Quellen:

https://norberthaering.de/bargeld-widerstand/verordnung-eeuro/

https://inwo.de/medienkommentare/gehen-sie-noch-einen-schritt-weiter-herr-fratzscher.html

https://inwo.de/medienkommentare/endspiel-des-kapitalismus.html

https://inwo.de/medienkommentare/ezb-verringert-anleihenkaeufe-schneller-als-geplant.html